Was das Kaufhaussterben mit Berlins Kiezen macht
Das Ende der großen Warenhäuser, es scheint besiegelt. Wie wird die Stadt von morgen aussehen? Wie sich ihr Gesicht verändern? Von Julius Betschka
Eines ist gewiss: Diese Krise wird Berlin verändern. Das syrische Restaurant bei mir in der Straße hat noch immer geschlossen. Drinnen steht einsam die Werbetafel, darauf in schöner Schrift „Essen wie bei Mamma“. Das Licht an der Decke hat lange nicht gebrannt. Vielleicht kommen sie ja wieder, oder nicht? Diese Krise trifft die Kleinen wie die Großen: Galeria-Karstadt-Kaufhof hat verkündet, sechs von elf Filialen in Berlin zu schließen, eine weitere in Tegel soll gar nicht erst öffnen. Geschlossen werden sollen die Standorte in Charlottenburg, Tempelhof, an der Müllerstraße in Wedding, im Ringcenter an der Frankfurter Allee, in Hohenschönhausen und die Filiale in den Neuköllner Gropius-Passagen. 600 Menschen könnten allein in Berlin ihren Job verlieren und ganze Nachbarschaften ihren Halt: Was macht so ein leerstehender Betonklotz mit der Gegend? Der Regierende Bürgermeister nennt das Aus der Filialen einen „schweren Schlag für die Kieze“. Verdi spricht von „einer der bittersten Stunden des deutschen Einzelhandels“.
Vor dem Karstadt an der Wilmersdorfer Straße ist heute Morgen um 10 Uhr eine Spontandemo der Beschäftigten angekündigt, genauso in Wedding. Für die Angestellten bedeuteten die Schließungen eine Zäsur. Die Frage: Trägt das Virus die Schuld am Ende der Filialen oder ist es die Folge eines langsamen Wandels, den die Eigentümer verschlafen haben? Dem Ende der großen Warenhäuser? Die Betonmeiler wirken – nicht nur baulich – aus der Zeit gefallen, wer sie betritt, denkt mehr an Gestern als an Morgen. Ihr Ende wird auch das Gesicht von Großstädten verändern – zum Schlechteren? Vielleicht steht das Ende der Fußgängerzone wie wir sie kannten an, vielleicht ziehen Amazonboten bald wie Steppenläufer durch die Kieze. Vielleicht führt aber das Ende der Warenhäuser zu neuen Chancen für kleine Lädchen. Die Lust am Bummeln verschwindet nicht mit Karstadt. Diese Pandemie wirkt wie ein Katalysator für gesellschaftliche Entwicklungen. Sie vertieft vorhandene Brüche und schafft neue Verwerfungen. Wir müssen uns umstellen, altes beiseitelegen, neu anfangen. Das tut weh. Aber jeder Anfang enthält diesen kleinen magischen Moment, in dem so vieles möglich scheint, nahezu jede Veränderung trägt ihn mit – und was können wir in Berlin besser als das: neu anfangen, Licht wieder anknipsen. Zur Not halt woanders. Eigentlich haben wir doch nur mit dem Fertigwerden Probleme.