Özdemir hält flammende Rede gegen AfD

Selten hallt eine Rede im Bundestag so nach wie die von Cem Özdemir Ende vergangener Woche zur AfD - deren Fraktion hatte beantragt, die Bundesregierung möge die Texte des nach einem Jahr Haft in der Türkei freigelassenen Journalisten Deniz Yücel missbilligen; die Fraktionsvorsitzende Weidel vertritt die Auffassung, der Doppelstaatsbürger und „Welt“-Korrespondent Yücel sei weder Journalist, noch Deutscher. Auszüge aus Özdemirs Erwiderung (Zwischenrufe in Klammern), gegen die von der AfD inzwischen Beschwerde angekündigt wurde: 

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! (Stephan Brandner, AfD: Herr Außenminister!) Man muss sich vergegenwärtigen, worüber wir heute tatsächlich reden. Wir reden über die Arbeit und die Artikel eines deutschen Journalisten. So etwas kennen wir sonst nur aus autoritären Ländern. Der Deutsche Bundestag hingegen benotet nicht die Arbeit von Journalisten und Journalistinnen. Bei uns in der Bundesrepublik Deutschland ist das Parlament keine oberste Zensurbehörde. So etwas gibt es nur in den Ländern, die Sie bewundern. Deutschland gehört nicht dazu. (Beifall bei Grünen, CDU/CSU, SPD, FDP und Linken - Alexander Gauland, AfD: Was wissen Sie denn, wen wir bewundern!)

In unserem Land, der Bundesrepublik Deutschland, gibt es nicht die Gleichschaltung, von der Sie nachts träumen. Bei uns gibt es Pressefreiheit, ein Wort, das in Ihrem Wortschatz ganz offensichtlich nicht vorhanden ist. (Beifall bei Grünen, SPD, Linken sowie Abgeordneten von CDU/CSU und FDP – Lachen bei der AfD) Die Pressefreiheit werden wir Ihnen gegenüber genauso verteidigen wie gegenüber Ihren Genossen in der Türkei, die Deniz Yücel ein Jahr seines Lebens geklaut haben. Wir sind froh, dass Deniz Yücel frei ist.

Damit kein Missverständnis entsteht: Genauso froh wären wir, wenn er Gustav Müller oder sonst wie heißen würde; denn jeder Bürger dieses Landes hat es verdient, dass sich dieses Land für ihn einsetzt; das ist doch wohl eine Selbstverständlichkeit. Jeder weiß es, außer Ihnen. (Beifall bei Grünen, CDU/CSU, SPD, FDP und Linken) Wir alle, der demokratische Teil dieses Hauses, (Lachen bei der AfD) setzen uns dafür ein, dass die anderen Journalisten, die ebenfalls in Haft sind, aber keinen deutschen Pass haben, freigelassen werden – sie haben es genauso verdient –; denn Journalismus ist kein Verbrechen. (Beifall bei Grünen, SPD und Linken sowie bei Abgeordneten von CDU/CSU und FDP).

Aber zur Wahrheit gehört leider auch: Das Land hat sich in dem einen Jahr, in dem Deniz Yücel im Gefängnis war, dramatisch verändert, und davon zeugt diese Debatte. Denn mittlerweile sitzen Abgeordnete in diesem Haus, die ich nicht anders als Rassisten bezeichnen kann. Wer sich so gebiert, ist ein Rassist. (Beifall bei Grünen, SPD und der Linken sowie bei Abgeordneten von CDU/CSU und FDP – Widerspruch bei der AfD) Ich meine diese Damen und Herren hier ganz rechts. Ich stehe am Mikrofon und Gott sei Dank können Sie es mir nicht abstellen. Ich weiß, in dem Regime, von dem Sie träumen, könnte man das Mikrofon abstellen; aber das kann man hier Gott sei Dank nicht. Sie werden es nicht schaffen, das zu ändern. Glauben Sie es mir! (Beifall bei Grünen, SPD und Linken sowie Abgeordneten von CDU/CSU und FDP – Dr. Alexander Gauland, AfD: Mein Gott, halten Sie die Klappe!)

Sie wollen bestimmen, wer Deutscher ist und wer nicht. (Beatrix von Storch, AfD: Nun sind wir da! Gewöhnt euch dran! – Dr. Alexander Gauland, AfD: Wir sind gewählt worden, Herr Özdemir! Es waren Deutsche, die uns gewählt haben!) Wie kann jemand, der Deutschland, der unsere gemeinsame Heimat so verachtet, wie Sie es tun, darüber bestimmen, wer Deutscher ist und wer nicht Deutscher ist? (…)
 
Dieses Hohe Haus verachten Sie genauso, wie Sie die Werte der Aufklärung verachten. Sie sind aus demselben faulen Holz geschnitzt wie diejenigen, die Deniz Yücel verhaften ließen. Sie sind aus demselben faulen Holz geschnitzt wie Erdogan, der Deniz Yücel für ein Jahr seines Lebens verhaften ließ. Ich sage es einmal in einem Satz: Die AKP hat einen Ableger in Deutschland. Er heißt AfD, und er sitzt hier. (Beifall bei Grünen sowie bei Abgeordneten von CDU/CSU, SPD, FDP und Linken)

Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Sie hatten ja vor kurzem einen politischen Aschermittwoch. Mich hat das eher an eine Rede im Sportpalast erinnert. Ich will Ihnen zurufen: Unser Deutschland, dieses Deutschland, ist stärker, als es Ihr Hass jemals sein wird. (Beifall bei Grünen, SPD, FDP und Linken) Ihr tobender Mob wollte am Aschermittwoch, dass ich abgeschoben werde. Das geht leichter, als Sie sich das vorstellen. Am kommenden Samstag bin ich wieder in meiner Heimat. Ich fliege nach Stuttgart. Dort nehme ich die S-Bahn, und ich steige am Endbahnhof Bad Urach aus. Da ist meine schwäbische Heimat, und die lasse ich mir von Ihnen nicht kaputtmachen!“ (Beifall bei Grünen, CDU/CSU, SPD, FDP und der Linken)

Den gesamten Wortlaut finden Sie hier auf tagespiegel.de sowie hier im Video (5.34 min). Zu Özdemirs Rede heute auch der „Tweet des Tages“ weiter unten.