„Es gibt Abgründe, in die möchte man nie geblickt haben“

Linken-Politiker Sören Benn ist erneut Bezirkschef von Berlin-Pankow geworden. Eigentlich ein Grund zur Freude – aber er hat die Rechnung ohne die AfD gemacht. Von Anke Myrrhe

„Es gibt Abgründe, in die möchte man nie geblickt haben“
Sören Benn (Linke), wiedergewählter Bürgermeister von mehr als 400.000 Berliner:innen im Bezirk Pankow. Foto: Sven Darmer

wenn Sie angesichts des trüben Wetters da draußen nur noch Netflix-Flimmern sehen, sollten Sie vielleicht mal wieder den Kopf heben: Die Realität ist zuweilen absurder als jedes Zucken auf dem Bildschirm.

In Pankow läuft gerade die erste Staffel Tiny-House of Cards, und eins ist schon nach Folge 2 klar: Erhobenen Hauptes kommt da niemand mehr raus.

Es gibt Abgründe, in die möchte man nie geblickt haben“, sagte Pankows Bezirksbürgermeister Sören Benn (Die Linke) gestern Abend dem Checkpoint. „So einer ist das hier. Die wird man nicht mehr ganz los. Die verändern was, ja.“

Am Abend demonstrierten vorm Rathaus 30 Grüne gegen einen Linken – zwei Parteien, die auf Landesebene gern wieder miteinander koalieren möchten. Und am Straßenrand schüttelten sich die Beobachterinnen und fragten sich, ob der Drehbuchautor nicht etwas übertrieben hat.

Der Hauptdarsteller Sören Benn, eigentlich bekannt als pragmatischer Bezirkspolitiker mit klar antifaschistischer Haltung, steht auf einmal als einer da, den die AfD ins Amt gewählt haben könnte. Die CDU will es jedenfalls nicht gewesen sein (zumindest offiziell), denn mit der Linken darf sie ja per Bundesorder nicht (keines der BVV-Mitglieder reagierte gestern auf unsere Anfrage). Und die Grünen, eigentlich stärkste Kraft in Pankow, haben ihre eigene Fraktion zwar so wenig im Griff, dass sie Abweichler nicht ausschließen können, wollen es aber selbstverständlich auch nicht gewesen sein (schließlich sollte es ihre eigene Bürgermeisterin werden).

Alle wissen ganz sicher, wer wen gewählt hat oder vielmehr: wen nicht – was bei einer geheimen Wahl vermutlich am allwissenden Erzähler liegt.

Während die Linke sich in Naivität suhlt (die AfD wählt doch nicht die Linke!), waren es die Grünen, die das Spiel überhaupt eröffnet haben: Schon vor der Wahl hatten sie vor „Thüringer Verhältnissen“ gewarnt – in Anspielung auf den FDP-Fundamentalfehler Thomas Kemmerich. So war sich selbst Bundesgeschäftsführer Michael Kellner gestern nicht zu schade, den Vorgang zu kommentieren: „Als Wahlverlierer sich von Rechtsextremen ins Amt verhelfen zu lassen, das macht man nicht.“ Grünen-Landeschefin Nina Stahr kommentierte: „Es ist nun seine Aufgabe, durch seinen Rücktritt bei der Reparatur des Damms zu helfen und zwar schnellstmöglich.“

Benn selbst sprach von einer „gezielten Diffamierungsaktion“, die er „bis heute von Seiten der Grünen nicht für möglich gehalten“ hätte. „Da sind alle Hemmungen gefallen, die AfD zur Waffe im politischen Kampf des Mitte-Links Lagers zu machen.“ 

Dass er selbst nach all den Jahren „die Perfidie der AfD unterschätzt“ hat, ist allerdings mehr als naiv. Als hätte es irgendein Kapitel gegeben, das dagegenspricht.

In den Nebenrollen: Fünf AfD-Hansel, die für die Handlung völlig unwichtig sind, sich aber mit all ihren Fans darüber kaputtlachen, die „linke Volksseele“ kaputt zu machen.

Wenn der Abspann läuft, merken sie vielleicht: Sie haben einen linken Antifaschisten ins Amt gewählt. Mal sehen, wer dann lacht.