Der Wahlschein als Bückware – so weit hat es Berlin gebracht

Das Organisationsdesaster war einmalig in Deutschland, die Landeswahlleiterin überfordert. Nicht mal eine Wahlwiederholung ist ausgeschlossen. Eine Einordnung. Von Lorenz Maroldt

Der Wahlschein als Bückware – so weit hat es Berlin gebracht
Petra Michaelis, Berliner Landeswahlleiterin, informiert auf einer Pressekonferenz über die Wahlen am 26. September. Foto: Jörg Carstensen/dpa

Der Wahltag selbst verlief in Berlin so, wie man die Stadt kennt: schrecklich dysfunktional. Immerhin brachte uns das endlich mal wieder überregionale Aufmerksamkeit: Sowohl die ARD als auch das ZDF berichteten über die Berliner Pannenserie ausführlich in ihren Hauptnachrichten. Und auch der Bundeswahlleiter schaute ganz genau hin. Die Bilanz des Schreckens ist aber auch einmalig für eine Wahl in Deutschland:

+ Teilweise lagen Stimmzettel aus den falschen Bezirken vor.

+ Erste Hinweise auf die Zettelverwechslung gab es bereits um 10 Uhr aus Friedrichshain, aber bei der Wahlleitung war niemand zu erreichen.

+ In einigen Wahllokalen gingen bereits um 14 Uhr die Stimmzettel aus.

+ Kuriere, die Nachschub besorgen sollten, blieben im Marathonstau stecken.

+ Einige Wahllokalleiter machten sich mit dem Auto auf, um irgendwo neue Wahlzettel aufzutreiben – und kamen ebenfalls nicht durch.

+ Wahlhelfer gingen zu Fuß los, um anderswo Wahlzettel aufzutreiben.

+ Mancherorts betrug die Wartezeit auf neue Wahlzettel bis zu vier Stunden.

+ In anderen Wahllokalen gab es nicht genug Wahlkabinen.

+ Zuweilen wurden gekippte Tische, Pappen und Transkisten zu provisorischen Wahlkabinen umfunktioniert.

+ Stundenlang mussten die Menschen vor manchen Wahllokalen warten (der Regierende Bürgermeister kam mit 25 Minuten davon).

+ Etliche Wahlberechtigte gaben auf und gingen wieder.

+ Für ältere Menschen, die nicht länger stehen konnten, gab es selbst vor Schulen keine Stühle.

+ Wegen des chaotischen Verlaufs wurden viele Wartende noch weit nach 18 Uhr in die Wahllokale gelassen.

+ In Pankow wurden fast 200 Menschen um 19 Uhr wegen fehlender Wahlzettel nach Hause geschickt, obwohl sie hier seit dem Nachmittag in einer langen Schlange warteten.

+ Die letzten Wahlzettel wurden nach 20 Uhr in die Urnen gesteckt – die Wartenden waren vor ihrer Stimmabgabe umfassend über die aktuellen Hochrechnungen informiert.

Eine unfassbare Szene spielte sich vor dem Wahllokal Münstersche Straße in Charlottenburg ab: Gegen 15.30 Uhr verkündete ein verzweifelter Wahlhelfer den Wartenden, dass es keine blauen Stimmzettel mehr gibt (Zweitstimme Abgeordnetenhaus).

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