Insider-Berichte aus der Innenverwaltung säen Zweifel an Schuld der Wahlleiterin

Kurz vor Verkündung des amtlichen Wahlergebnisses sollten sich die beteiligten Behörden warm anziehen – Interna enthüllen, wie es zur Berliner „Chaos-Wahl“ kam. Von Julius Betschka

Insider-Berichte aus der Innenverwaltung säen Zweifel an Schuld der Wahlleiterin
Mit Stimmensuche und -auszählung ist es bei einer Wahl leider nicht getan. Foto: Jens Kalaene/dpa

Um 10 Uhr ist es soweit: Trommelwirbel...! Das amtliche Endergebnis der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus wird vorgestellt. Sie erinnern sich: Pleiten, Pech und Purzelbäume… Landeswahlleiterin Petra Michaelis, die nach diesem Tag von ihrem Amt zurückgetreten sein wird, will heute auch eine abschließende Liste der vielen Ungereimtheiten und Wahlpannen vortragen. Und: Ab heute sind Widersprüche möglich gegen die Abgeordnetenhauswahl. Die ersten sind angekündigt.

Auf Bundesebene läuft die Einspruchsfrist längst: 113 Beschwerden hat der Wahlprüfungsausschuss seither erhalten. Ein großes Paket“ davon beziehe sich auf den Ablauf der Bundestagswahl in Berlin, teilt eine Sprecherin mit. Wahlleiterin Michaelis ist deshalb zurückgetreten. Aber hat es die Richtige getroffen? Dem Checkpoint liegen Insider-Berichte aus der Innenverwaltung vor, die sich ergänzen und bestätigen. Sie zeichnen ein anderes Bild: das einer allgemeinen, berlintypischen Unzuständigkeit – in der Innenverwaltung, in der Wahlleitung, im statistischen Landesamt und bei Dienstleistern.

+ Personalmangel: „Die Organisation der Wahlbezirke und Wahllokale liegt bei den Bezirken. Frau Michaelis kann keine Vorgaben machen. Die Bezirkswahlämter waren unterbesetzt, bei einer Doppelwahl hätte es doppelt so viel Personal gebraucht. Die Landeswahlleiterin hat Herrn Akmann und Herrn Geisel bereits 2020 informiert, dass eine Doppelwahl mit den bestehenden Ressourcen nicht zu stemmen ist. Dies wurde weggewischt.“

+ Fehlende Schulungen: „Die Probleme sind systembedingt. Ohne Ausstattung der Bezirkswahlämter mit Personal und Technik und ohne frühzeitig geschulte Wahlhelfer, musste diese Wahl schiefgehen. Die Warnungen wurden frühzeitig an Herrn Akmann und Herrn Geisel kommuniziert.“

+ Wahlbenachrichtigungen: „Die Probleme begannen nicht am Wahltag, sondern mit dem Versand der Wahlbenachrichtigungen. Der Dienstleister PIN AG hat versagt. Zwei Wochen lang haben betroffene Wahlberechtigte die Bezirke und die Landeswahlleitung deshalb belagert. Die eigentliche Vorbereitung des Wahltages konnte kaum stattfinden. Bereits 2016, 2017 und 2019 gab es Probleme mit dem Dienstleister. Aber das Land Berlin schreibt ihn vor, die Landeswahlleiterin muss auf ihn zurückgreifen.“

+ Falsche Stimmzettel: „Die Auslieferung durch die Brandenburgische Universitätsdruckerei verlief von Anfang an problematisch. Vereinbarte Lieferzeiten wurden nicht eingehalten, falsche Stimmzettel versandt.“

+ Briefwahlunterlagen: „Die Briefwahlunterlagen werden händisch durch Leiharbeiter gepackt und dann an die PIN AG übergeben. Bei fast einer Million angeforderter Unterlagen entstehen in Akkordarbeit Fehler. In 30 Jahren hat es das Land Berlin nicht geschafft, diese Arbeit durch eine zuverlässige Maschine zu ersetzen.“

+ Fazit: „Die Funktion der Landeswahlleiterin ist weitgehend kompetenzfrei, weil sie keine Weisungsberechtigungen hat. Die Berliner Landespolitik trägt eine Mitschuld am Desaster, denn alle Beteiligten haben das dysfunktionale System akzeptiert. Der einzige Fehler, den Frau Michaelis gemacht hat, ist, das System nicht zu hinterfragen, das sich am Ende gegen sie selbst gerichtet hat.“

Am Freitag um 10 Uhr findet eine Sondersitzung des Innenausschusses statt. Der einzige Tagesordnungspunkt: „Ablauf und Organisationen der Wahlen und der Abstimmung am 26.9.2021“. Innensenator Andreas Geisel (SPD) wird nicht erklären können, er, seine Verwaltung und der Berliner Senat wären nur „Zuschauer“ gewesen. Noch-Regierungschef Michael Müller hat es am vergangenen Freitag gesagt: „Die Rahmenbedingung für den korrekten Ablauf der Wahl zu schaffen, ist die Aufgabe der Politik.“ Die Insiderberichte zeichnen davon ein wenig vorteilhaftes Bild.

Korrekturhinweis: In einer früheren Version wurden Äußerungen zitiert, wonach das Unternehmen „elect iT“ mit der Veröffentlichung von Wahldaten beauftragt worden und bei der Datenverarbeitung ein Softwarefehler aufgetreten sei. „elect iT“ weist diese Darstellung entschieden zurück.