Durchgecheckt
Hermann Wolter (63) lebte 33 Jahre lang immer wieder auf der Straße, knapp 20 davon in Berlin. Mittlerweile bezieht er die Grundsicherung und hat ein festes Zuhause gefunden.
Herr Wolter, wie geht es Ihnen?
Blendend. Ich lebe in einer 42-Quadratmeter-Wohnung mit Balkon – den ich übrigens mal aufräumen müsste. Und ich habe einen Fernseher. Mein größter Luxus, weil ich so ein Nachrichtenfreak bin. Ich will immer und über alles Bescheid wissen.
Vor sechs Jahren sah die Situation komplett anders aus. Sie hatten kein Geld, keine Wohnung, keinen Personalausweis, keine Krankenversicherung. Man kannte Sie als den „Obdachlosen aus dem Grunewald“.
Eigentlich bin ich gelernter Kaufmann, habe 10 Jahre in dem Beruf gearbeitet und mich dann aus meinem alten Leben verabschiedet. Erst bin ich rumgereist, habe Geld als Putzkraft und als Teilnehmer von Pharmastudien verdient, dann bin ich in Berlin und im Grunewald gelandet. Da habe ich mit meinem Schlafsack auf einer Isomatte gepennt. Ein paar Wildschweine waren da auch. Die waren meine Freunde, meine besten. Morgens um fünf Uhr bin ich immer zur Bahnhofsmission gelaufen – die kannte ich schon aus Erzählungen – um etwas zu essen, dann bis zum Mittagessen durch die Stadt und danach wieder zurück. 20 Kilometer am Tag. Dafür hatte ich meine Ruhe. Als Obdachlosen habe ich mich nie gesehen, sondern als Abenteurer. Ein Abenteurer am Limit. Ich war da immer optimistisch. Selbst Minus 28 Grad habe ich überlebt. Aber an diesem einen Tag im Dezember, da hätte ich auch sterben können.
Der 6. Dezember 2013 – es gab damals einige Artikel in der Presse.
Ich hatte die Nacht auf einer Parkbank am Halensee verbracht, als mich eine ältere Dame ansprach und fragte, ob mir nicht kalt sei. Als ich ihr sagte, dass ich meine Füße nicht mehr spüren kann, holte sie Hilfe und ich wurde ins Krankenhaus gebracht. Ich hatte Erfrierungen zweiten Grades, die Füße waren blau-rot und wurden mit Wärme behandelt und verbunden. Danach bin ich direkt zurück auf die Straße, die verfrorenen Stellen wurden wund und ich habe gemerkt, dass ich es nicht schaffe. Ich bin dann wieder zur Bahnhofsmission am Zoo. Die helfen dir, wenn du gar nicht mehr weiter weißt.
Wie ging es weiter?
Ich habe die Genehmigung für ein Zimmer im Übergangshaus der Stadtmission und sozialarbeiterische Unterstützung bekommen. Das Bezirksamt hatte damals gesagt: Der bleibt keine drei Wochen. Aber ganz ehrlich: Besser konnte ich es nicht haben. Ich fand die ja alle nett! 1,5 Jahre war ich da. Dann konnte ich hier in meine erste eigene Wohnung einziehen – und bleiben. In den Wald bin ich nicht mehr gegangen. Das hat sich abgenutzt.
Der Bahnhof Zoo, die Erinnerungen an Ihr altes Leben, liegen nur wenige hundert Meter von Ihrem Zuhause entfernt.
Wenn ich heute Obdachlose sehe, kommen da kaum noch Gefühle hoch. Vielleicht bin ich abgestumpft, weil ich das selbst erlebt hab. In gewisser Weise bin ich aber auch stolz, dass ich das geschafft hab. Sowas fängt ja im Kopf an. Wenn du es selber nicht willst, hast du keine Chance. Ich denk dann manchmal: Fangt halt endlich mal an. Lasst euch helfen.
Einige wollen das nicht…
Ja, klar, weil das Problem ist, dass du immer erstmal in ein Mehrbettzimmer kommst. Da sind dann sechs Besoffene, die wollen, dass du ihnen Bier kaufst und da sollst du dann pennen. Da geht man lieber wieder auf die Straße. Was es bräuchte, wären Einzelzimmer. Da würden einfache Container schon reichen! Platz wäre ja genug.